Eine kulinarische Kreation von Michel Roth. Bildnachweis : Adrian Ehrbar
So weit er sich erinnern kann, hat Michel Roth zu Hause schon immer gern bei der Zubereitung der Mahlzeiten geholfen. Als sein Vater, selber kein Koch, erkannte, wie sehr ihm dies gefiel, ermutigte er ihn, doch diesen Beruf zu ergreifen. Heute lebt Michel seine Passion an der Spitze des Restaurants Bayview in Genf aus, das für seine Kochkunst einen Michelin-Stern und 18 GaultMillau-Punkten erhalten hat. Begegnung mit einem Kenner und Meister der Schweizer und französischen Gastronomie.
Grandes Tables Suisses: Was kochen Sie während dieses Lockdowns?
Michel Roth: Die meiste Zeit plane ich nicht voraus und entscheide gerne spontan! Ich gehe auf den Markt und kaufe je nach meiner Eingebung und den dort angebotenen Produkten ein. Das kann ein Bœuf bourguignon sein, ein weisses Kalbsvoressen, Fisch, Geflügelfrikassee, Meeresfrüchte… Nichts schränkt mich da ein, ausser vielleicht meine Vorstellungskraft!
Obwohl ich gern auf traditionelle Gerichte setze, versuche ich immer, eine persönliche Note einzubringen, die dem Essen einen besonderen Touch verleiht. Das können im Bœuf bourguignon Schalotten sein oder in der Blanquette de veau ein paar Eisenkrautblätter. Ich versuche immer, kreativ zu sein und meiner Familie eine geschmackliche Überraschung zu bieten. Natürlich ist die Präsentation der Teller zu Hause einfacher als im Restaurant, weil es da ja weniger förmlich zugeht, aber der Geschmack stimmt, und das ist es, was zählt!
GTS: Haben Sie einen Vorschlag für ein Rezept, das die Leserinnen und Leser leicht zu Hause zubereiten können?
MR: Ein ganz einfaches Rezept, das ich regelmässig koche, ist ein Spiegelei in einer Scheibe Brot. Dafür schneide ich eine Scheibe Brot als Ring mit einem Loch in der Mitte zu und röste sie in einer Pfanne in Butter, bis sie beidseitig schön knusprig und goldbraun ist. Zum Schluss schlage ich in dem Loch ein Ei auf und serviere das Ganze, solange das Eigelb noch flüssig ist.
Zu diesem Spiegelei-Rezept passt ein gemischter Salat an Walnussöl-Vinaigrette, dem Bündnerfleischspäne oder geräucherter Schinken eine rauchige Note verleihen. Das ergibt eine attraktive und gute Vorspeise, die sehr leicht zuzubereiten ist.
GTS: Auf welches Gericht freuen Sie sich besonders, wenn das «Bayview» wieder geöffnet werden kann?
MR: Ich freue mich darauf, mit meinem Team in die Küche zurückzukehren und eine meiner Spezialitäten zu kochen, die inzwischen ein grosser «Bayview»-Klassiker ist: Felchenfilet in Muscheljus mit Koriander und kleine, mit Waadtländer Tomme-Käse gefüllte Ravioli. Das ist eine meiner eigenen Kreationen, die ich hier seit meiner Ankunft serviere, und sie gehört zu den Lieblingsgerichten unserer treuen Gäste.
GTS: Sie sind von der französischen Gastronomie geprägt. Gibt es ein typisches Schweizer Gericht, das Sie besonders gern kochen und warum? Wie haben Sie es neu interpretiert.
MR: Ich arbeite gern mit Fisch, und da bieten sich natürlich die beliebten Filets de perche oder Eglifilets an. Ich koche regelmässig ein Rezept für Fish and Chips auf Gourmet-Art, serviert mit Artischocken und Fenchel sowie einer Petersiliensauce, die an eine traditionelle Sauce tartare erinnert.
GTS: Veranlasst Sie die aktuelle Covid-19-Situation, sich eine neue Form vorzustellen, wie man Lebensmittel konzipieren und konsumieren könnte?
MR: Müsste ich die Situation zusammenfassen, würde ich sagen, dass das Ganze auch eine sehr positive Seite hat. Denn die geltenden gesundheitlichen Einschränkungen veranlassen uns, lokale Produzenten zu bevorzugen und mit dem zu arbeiten, was je nach Jahreszeit hier vorhanden ist. Das zwingt uns, zu einer authentischeren und einfacheren Küche zurückzukehren. In letzter Zeit waren wir übrigens bereits auf dem richtigen Weg, denn der bewusste und verantwortungsvolle Konsum liegt im Trend. Die Pandemie begünstigt dieses Verhalten und den respektvollen Umgang mit Tieren, Produkten und Lieferanten zusätzlich.
Wir haben uns angewöhnt, alles zu schnell zu machen und auch zu schnell zu essen. Jetzt zwingen uns die Bedingungen, diesen Rhythmus zu verlangsamen und uns beim Schmecken und Geniessen Zeit zu lassen. Das ist eine Chance, gutes Essen wieder mehr zu schätzen!
GTS: Sie sind in der Welt der Gastronomie eine echte Quelle der Inspiration. Welchen Rat möchten Sie jungen Gastronomen gerade jetzt mit auf den Weg geben?
MR: Diese Situation demoralisiert den Nachwuchs ziemlich. Deshalb ist es unsere Aufgabe, für die Jungen da zu sein und den Link zwischen den Generationen sicherzustellen. Ich selbst habe mehrere Videos für Hotelfachschulen gedreht, um sie mit einem Unterrichtsmittel zu unterstützen und mein Wissen und meine Erfahrung weiterzugeben.
GTS: Sie wurden mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt, wie dem Bocuse d’Or, Meilleur Ouvrier de France oder Chevalier de l’Ordre de la Légion d’Honneur. Gibt es einen, der Sie besonders berührt hat, und aus welchem Grund?
MR: Jede dieser Ehrungen hat ihre besondere eigene Geschichte, die mich an bestimmte Momente meiner Laufbahn erinnert. Müsste ich mich für eine entscheiden, würde ich den Bocuse d’Or wählen. Er entspricht der Weltmeisterschaft der Gastronomie.
Damals vertrat ich Frankreich gegen 24 andere Länder. Ich war ausgewählt worden, mein Land zu repräsentieren, und das verstand ich als ehrende Verpflichtung gegenüber meiner Heimat. Während dieser wenigen Tage herrschte eine unglaubliche Begeisterung, und es kam zu vielen lehrreichen Begegnungen. Höhepunkt war der Gewinn des Bocuse d’Or, doch schon die Tatsache, dass ich daran teilnehmen konnte, war eine überaus bereichernde und bewegende Erfahrung.
GTS: Letzte Frage: Wo kehren Sie für das erste Auswärtsessen ein, wenn die Restaurants wieder geöffnet werden dürfen?
MR: Eigentlich möchte ich alle wiedersehen, die ich kenne! Alle Gastronomen warten darauf, ihre Kundschaft möglichst bald wieder verwöhnen zu dürfen, und ich möchte ihnen mit einem Besuch meine Unterstützung beweisen.
Wenn ich mich für ein erstes Restaurant entscheiden müsste, würde ich wohl zu meinen Freunden Corinne und Jean-Marc Bessire im «Cigalon» in Thônex bei Genf gehen (1 Michelin-Stern und 17 Punkte im GaultMillau). Es ist ein wahrer Tempel für Fischgerichte, in dem Meeresprodukte perfekt verfeinert werden! Ich kehre dort regelmässig ein, weil ich die familiäre Atmosphäre und die feine, präzise Küche von Jean-Marc besonders schätze.
Alle Informationen über das «Bayview» finden Sie auf der Website: https://www.restaurantbayview.com