CRISSIER: AUSGEBUCHT!
In Crissier ist der Teufel los. Das Restaurant ist zweimal täglich restlos ausgebucht, Wartelisten werden geführt. «Unglaublich», staunt Patron Franck Giovannini, «an Samstagabenden ist das Restaurant bis in den nächsten Sommer hinein gebucht.» GaultMillau-Tipp: Trotzdem versuchen! Absagen gibt es immer wieder. Beim «Chef’s Table» draussen in der Küche allerdings ist die Lage hoffnungslos. Wer ihn mal kriegt, gibt ihn nicht mehr her und will das Küchenballett der 24 Chefs (alle mit Toque und Torchon) nicht verpassen. Das Crissier-Konzept ist ungewöhnlich. Franck Giovannini: «Bei uns isst der Gast, worauf er Lust hat. Er kann wählen zwischen zwei Menüs oder aus dem à la carte-Angebot. Das schaffen wir: wir sind ein grosses, starkes Team.» «Zwangsmenüs» wie fast überall in den Spitzenrestaurants in der Schweiz und in Frankreich sind in Crissier keine Option. Grosses Bild oben: Franck Giovannini und sein genialer Rouget.
MOULES DE BOUCHOT IN DER LUXUSKÜCHE
Franck Giovannini hat in jeder Jahreszeit seine Favoriten. Im Sommer etwa die Moules de Bouchot. Natürlich kriegt man die in Crissier nicht einfach «marinière» im grossen Topf wie in der Hafenkneipe. Die Muscheln werden sorgfältig und geduldig gereinigt, der schwarze Bart mit der Pinzette entfernt und die Moules in verschiedenen Varianten zubereitet: Geeist, mit einem sanften, überhaupt nicht aggressiven Balti-Curry und mit Zucchini aus Noville VD. Oder als «Turban»: Die Muscheln werden mit höchstem Pinzetteneinsatz zu einem Kreis zusammengeführt; eine Chasselas-Sauce mit Kräutern gibt es dazu. «Wir verarbeiten im August und September Berge von Moules. 15 Köche sind jeden Morgen zur Reinigung abkommandiert. Einer allein würde durchdrehen», lacht Franck Giovannini.
DIE SACHE MIT DEN «FILETS DE PERCHES»
Der Patron nutzt jede Gelegenheit, regionale Produkte in seine Menüs einzubauen. Selbst die berühmten «Filets de perches» regen seine Fantasie an, auch wenn sie in der Menge beschränkt sind. Die Lösung: Egli-Rillettes! Kultfischer Serge Guidoux aus Cully ist der Hoflieferant. Giovannini pimpt die «Perches» mit einer fantastischen, erfrischend kühlen Dézaley-Sauce auf, und eine grosszügige Ladung Kaviar kommt auch noch drauf. Für die Saucen werden hier Spitzenweine entkorkt, für die Egli etwa der berühmte «Medinette» von Louis Bovard. Sind die Winzer nicht sauer, dass ihre Weine in die Sauce statt ins Glas gegossen werden? Giovannini ganz cool: «Im Gegenteil. Sie sind stolz.»
BARBUE STATT TURBOT
Früher oder später is(s)t man in Crissier immer am Meer. Drei Hammergerichte. Die kleinen Médaillons vom bretonischen Hummer zum Start. Der wunderbare «Dos de Barbue» mittendrin. «Es muss nicht immer Turbot sein», sagt Giovannini und serviert einen Glattbutt. Er wird vor dem Gast von der Gräte gelöst, mit Gurken und vor allem mit einer kraftvollen Tomatenreduktion serviert. Beim knusprigen «Rouget de roche» ist der Chef ziemlich mutig unterwegs: Oliven, konfierte Auberginen und vor allem Senfkörner (!) setzen überraschende Akzente. Herausragend gut die Langustine aus der französischen Küste: Ein Öl aus der Karkasse wird dazu gegossen und ersetzt die klassische Sauce. Bohnen aus Vinzel entdecken wir auch im Teller; sie sind bei den Gästen äusserst beliebt.
UND JETZT EINE ENTE? FEHLANZEIGE!
In Frankreich grassierte monatelang die Vogelgrippe, Bresse-Geflügel war nicht zu haben. Ersatzlösungen: Eine Tranche Rind aus Waadtländer Zucht, mit Thymian und vor allem mit feinen Artischocken (Sauce Barigoule!). Oder ein Sisteron-Lamm mit einer ungewöhnlich leichten und ungewöhnlich guten Sauce: Pesto und Basilikum. Im «Hôtel de Ville» sind nur Profis am Werk. Zwei von ihnen möchten wir besonders erwähnen: Nicolas Flandin ist ein hervorragender Pâtissier, der nicht auf dem Selbstverwirklichungstrip ist, sondern die Vorgaben des Patrons sehr gut umsetzt: Aprikosen (mit einem Schuss Eau de vie) und weisse Pfirsiche regen seine Fantasie im Sommer besonders an. Camille Cariglio ist einer der besten Sommeliers des Landes. In Crissier wird gebaut: Franck und Camille entführen